Die Geschichte zwischen der Vorstellung einer juristisch korrekten Selbstverteidigung und der tatsächlichen juristischen Lage ist eine voller Mißverständnisse; um es höflich zu sagen. Zwischen der subjektiven Vorstellung von “Gerechtigkeit” im Falle eines Angriffes und tatsächlichem Recht liegen eben meist doch gewaltige Unterschiede.
Die juristische Seite:
“Also, zunächstmal ist es so, dass es dem Juristen die Zehennägel aufrollt, wenn selbsternannte Spezialisten selbstverliebt von der "Verhältnismäßigkeit" in der SV skandieren. Denn rechtswissenschaftlich bedeutet das, dass es gilt die betroffenen Interessen abzuwägen, also welches Gut wird durch die Verteidigungshandlung preisgegeben und wie steht es im Verhältnis zu dem, dass angegriffen wurde.
Diese Überlegung gibt es aber im §32 StGB nicht, sondern ist eines der Kriterien, die den §32 vom §34 (Notstand) unterscheiden. Durch §34 kann nur gerechtfertigt sein, wer so gehandelt hat, dass es einer positiven Rechtsgüterabwägung genügt. Notwehr (§32) ist sozusagen ein Spezialfall des Notstandes (§34 StGB, §§228, 904 BGB). Beim Notstand darf ganz allgemein ein Gut beeinträchtigt werden, um ein anderes zu Schützen, die zeitlichen Grenzen sind sehr viel weiter, als beim §32, außerdem können Eingriffe in Güter völlig unbeteiligter Dritter gedeckt sein, was beim §32 niemals der Fall sein kann.
Beim Notstand ist also der Einzugskreis der Betroffenen größer, die Eingriffskriterien dafür aber enger. Bei der Notwehr, die sich nur gegen Güter des Angreifers selbst richten darf sind die Voraussetzungen deutlich enger, dafür aber die Eingriffsbefugnis in die Güter deutlich schärfer (eben weil keine Abwägung der betroffenen Güter erfolgt). Das wird damit begründet, dass der Angreifer selbst zu vertreten hat, dass seine Güter Schaden nehmen und ihn so eine erhöhte Duldungspflicht trifft.
Daraus folgt, dass die Qualität des angegriffenen Gutes nicht mit der des durch die
Verteidigung preisgegebenen abgeglichen werden muss. So kann ein Beleidigungsschwall,
der einfach nicht enden will durchaus körperliche Verteidigungshandlungen rechtfertigen.
Verbale Gutsverletzung (Ehre) <-
Zur Verdeutlichung ein weiteres, sehr nachvollziehbares Beispiel: Gäbe es eine Verhältnismäßigkeitsprüfung
in der Notwehr im Sinne einer Güterabwägung, könnte das 1,50m kleine, 40kg leichte,
17 Jahre alte Mädchen niemals aus §32 gerechtfertigt sein, wenn es den 2,10m großen,
130kg schweren Mann niedersticht, der es im nächtlichen Park vergewaltigt, da im
Rahmen einer Güterabwägung niemals das Lebensinteresse überwogen werden kann (Unaufwiegbarkeit
des Lebens). Sie muss sich aber verteidigen dürfen und diesem Mädchen kann nicht
abverlangt werden, das Messer in dieser Lage nicht zu benutzen, sie hat auch keine
Duldungspflicht -
Dafür zieht das Notwehrrecht andere Grenzen:
I) Notwehrlage ist ein
1.) Gegenwärtiger
2.) Rechtswidriger
3.) Angriff
4.) auf rechtlich geschütztes Gut
II) Notwehrhandlung ist die
1.) Verteidigung (darf nur ggn. Güter des Angreifers gerichtet sein)
2.) die erforderlich
3.) und geboten
ist im Rahmen der
III) subjektiven Seite der Notwehr von
1.) Verteidigungswillen getragen und
2.) in Kenntnis der notwehrbegründenden Umstände geschieht.
Gegenwärtig ist ein Angriff, wenn er unmittelbar bevor steht, gerade erfolgt oder noch fortdauert (etwa der Dieb, der mit der Beute in der Hand flüchtet).
Erforderlich ist die Handlung, wenn sie das relativ mildeste Mittel unter allen Verfügbaren darstellt, die gleichermaßen zum sofortigen Erfolg führen. Das heißt, die Verteidigungshandlung richtet sich nicht nach der Art des angegriffenen Gutes, sondern lediglich nach den Möglichkeiten des Verteidigers.
Das ist auch der Punkt, an dem es für Kampfsportler eng werden kann, denn diesen könnten andere Möglichkeiten unterstellt werden, als Menschen ohne solche Sonderfähigkeiten. Hier ist Argumentationsspielraum gegeben.
Wichtig ist, dass man den Unterschied erkennt: Es kommt nicht darauf an, ob jemand
unablässig beleidigt wird, oder verprügelt, es kommt darauf an, was er unter den
gegeben Umständen dagegen tun kann. Flüchten oder Ausweichen wird ausdrücklich nicht
verlangt -
Kommen wir zum "Kern" des Notwehrrechtes, den ich ansprach. Das sage ich deswegen,
weil die volle Notwehrbefugnis (=Trutzwehr) im Rahmen der Gebotenheit (Pkt. II)3.)
in obigem Schema) eingeschränkt werden kann. Es gibt 5 Fallgruppen, bei denen, wenn
einschlägig, sich der Verteidiger auf Schutzwehr verweisen lassen muss und nur wenn
unumgänglich zu schonender Trutzwehr greifen darf. Diese 5 Fallgruppen beschreiben
aber eher die Peripherie dessen, was das Notwehrrecht eigentlich abdecken möchte
und sind sozial-
Im Regelfall sind sie nicht einschlägig, weshalb ich vom "Kern" des Notwehrrechtes sprach. Diese 5 Fallgruppen sind:
1.) Angriffe schuldlos handelnder oder ersichtlich irrender (Kinder unter 14 Jahren, massiv betrunkene (3 promille aufwärts), geistig Behinderte, etc.)
2.) Bagatellangriffe (Angriffe, die an der Grenze zum sozialadäquaten stehen, etwa Ruhestörung durch Kirmesbesucher)
3.) Garantenstelltung (besonderes Verhältnis zwischen Angreifer und Verteidiger,
etwa bei Eheleuten, Eltern-
4.) Notwehrprovokation (selbst zu vertretende Notwehrlage)
und schlussendlich der Grund, warum ich das überhaupt anspreche:
5.) krasses Missverhältnis der betroffenen Güter
Hier kommt im Rahmen der Gebotenheitsprüfung doch noch eine Verhältnismäßigkeitsabwägung in das Notwehrrecht hinein. Der Gedanke ist, dass Grundsätzlich zwar das Recht dem Unrecht nicht weichen muss, was zu oben besprochener Trutzwehrbefugnis führt, es aber Fälle gibt, wo man das nicht ernstlich vertreten kann. Wo also die volle Trutzwehr rechtsmissbräuchlich erscheinen würde, kann über diese Fallgruppen eingeschränkt werden.
Ein Bsp. für 5. wäre der Rentner, der sich nicht ohne Hilfe fortgebewegen kann und auf seinem Schaukelstuhl sitzen beobachten muss, wie Kinder (nehmen wir mal an, sie sind älter als 14) seine Kirschen aus dem Baum stehlen. Formal ist das ein rechtswidriger, gegenwärtiger Angriff auf sein Eigentum. Weil er sich nicht fortbewegen kann, ist die Flinte, die er neben sich stehen hat, die einzige und damit erforderliche und geeignete Verteidigungsmöglichkeit des Alten. Dennoch darf er die Kinder damit nachvollziehbarer Weise nicht aus dem Baum schießen, da dies ein wirklich krasses und nicht tragbares Missverhältnis zwischen dem angegriffenen Gut (Eigentum an Kirschen) und dem durch die Verteidigung preisgegebenen (Leben der Kinder) darstellt.
Es ist also so: Im Kern dessen, was durch das Notwehrrecht geregelt werden soll, gibt es keine Verhältnismäßigkeitsprüfung, nur die Erforderlichkeit. In der Peripherie kann es aber zu einer solchen Abwägung kommen, wenn die Ergebnisse des grundsätzlich anzuwendenden Rechtes allzu unerträglich wären (Einschränkung im Rahmen der Gebotenheit über die 5 Fallgruppen).” (Quelle)
Die andere Seite:
Leider ist es nicht selten so, dass, obwohl die Paragraphen “eindeutig” geschrieben stehen und die Thematik eigentlich klar sein müsste, eine erfolgreiche physische Selbstverteidigung in einem juristischen Desaster enden kann (wohlgemerkt für den, der sich erfolgreich gewehrt hat).
Das Sprichwort “Vor Gericht und auf hoher See bist du in Gottes Hand” könnte nicht
besser auf die Thematik zutreffen. Kurz gesagt: Obwohl der Gesetzestext gut klingen
mag und der nächste Juristen-
Eine Person mag vor Gericht davon kommen, wenn sie sich z.B. erfolgreich mit einem Messer gewehrt hat, während in einer ähnlicher Situation die andere Person wegen Körperverletzung verurteilt wird, weil der Staatsanwalt oder Richter anderer Meinung war.
Wichtig:
Eine erfolgreiche physische Selbstverteidigung führt fast immer zu juristischen Konsequenzen, die außerhalb Eurer Kontrolle oder Eurem Einfluß liegen.
Solltet Ihr kämpfen oder Euch wehren müssen, so kämpft Ihr automatisch immer nach folgender Formel: Anzahl der Angreifer n+1. Die +1 stellt den Staatsanwalt dar, dessen einzige Aufgabe es ist zu beweisen, dass Ihr juristisch falsch gehandelt habt. Und auch wenn ich hier keinen Berufsstand diskreditieren möchte, so ist ein übereifriger Staatsanwalt für Eure gesellschaftliche Existenz fast gefährlicher als Euer Angreifer.
An dieser Stelle sollte deutlich werden, dass Kämpfen sich nicht lohnt, weil es fast immer zu einem juristischen Nachspiel kommt, bei dem eine gute Chance besteht, dass Ihr es verlieren könnt und zwar unabhängig davon, ob Ihr tatsächlich im Recht wart (oder das glaubt); Recht hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun.
In der physischen Selbstverteidigung müsst Ihr also nicht nur Euren Angreifer abwehren, Ihr müsst auch die folgenden juristischen Konsequenzen, die ernste Auswirkungen auf Euer weiteres Leben haben können, erfolgreich und mit heilen Nerven überstehen. Werdet Ihr wegen Körperverletzung verurteilt, so wird dies im polizeilichen Führungszeugnis vermerkt. Im schlimmsten Fall bekommt Ihr nicht nur den Eintrag, sondern werdet dazu verurteilt Eurem Angreifer Entschädigung in Form von Schmerzensgeld zu leisten.
Was könnte demütigender sein, als einem Angreifer, der wissentlich Deine Gesundheit oder Dein Leben bei seinem Angriff in Kauf genommen hat, nach Abschluß des juristischen Nachspiels auch noch Geld bezahlen zu müssen?
Denkt daran: Wenn es möglich ist, vermeidet bereits im Vorfeld jeden möglichen Ärger, nicht nur mit potenziellen Störenfrieden, sondern auch mit der Justiz; Anwälte sind nur dann gut, wenn man sie nicht braucht.
“Auf der Straße gewonnen, vor Gericht verloren: So war das eigentlich nicht geplant!”
Nothilfe und Zivilcourage:
Seit dem Tod von Dominik Brunner wurde in der Gesellschaft wieder verstärkt die Frage diskutiert, inwieweit Nothilfe das eigene Leben gefährdet bzw. ob sich Zivilcourage überhaupt noch lohnt. Hr. Brunner wurde von zwei Jugendlichen zu Tode geprügelt, weil er eingriff, als die Täter eine Gruppe anderer Jugendlicher bedrohten.
Da der Fall auf ein starkes Medienecho traf und viele Leute bestürzte, bekam Hr. Brunner posthum zahlreiche Auszeichnungen verliehen und wurde zum Helden erklärt.
Trotzdem hat dies nichts an der Verunsicherung der Leute geändert: Soll man nun eingreifen? Wenn ja, wie? Wenn ich den Täter verletze, kann ich dann dafür bestraft werden?
Um die brennende Frage „Was soll ich tun“ zu beantworten, muss man sich bei einer Nothilfesituation über folgende Punkte absolut im Klaren sein:
• Haben Euch unbekannte Menschen Streit und mischt Ihr Euch ein, werdet Ihr automatisch ein Mitspieler. Das bedeutet, dass Ihr die Aufmerksamkeit und evtl. auch den Zorn von einer oder sogar beiden Parteien auf Euch ziehen werdet.
Bei den Reaktionen der Beteiligten ist physische Gewalt leider immer öfter eher Regel als Ausnahme! Wer sich also keiner direkten Gefahr aussetzen möchte, keine Erfahrung mit physischen Auseinandersetzungen hat, die entsprechende psychische Voraussetzungen nicht mitbringt oder nicht für so eine Situation ausgebildet ist, sollte von einem direkten Eingreifen Abstand nehmen.
• Im schlimmsten Fall steht Ihr alleine da: Wie oben bereits angesprochen, sind fast alle Bürger mit der Konfrontation von extremer Aggression oder Gewalt restlos überfordert. Die Folge davon ist, dass sehr viele Menschen, obwohl sie gerne helfen würden, in einer Nothilfesituation nicht einschreiten werden.
Geht davon aus, dass Euch in einer Notwehr-
• Solltet Ihr helfen und verletzt dabei den Täter, besteht eine nicht geringe Chance, dass Ihr Euch soeben in ein juristisches Minenfeld begeben habt. Folgender Artikel veranschaulicht, warum gute Absichten nicht vor Strafe schützen. Nochmal: RECHT HAT MIT GERECHTIGKEIT NICHTS ZU TUN!
Zusammenfassung:
Für die Nothilfe gilt, dass sie nicht ungefährlich ist und ein direktes Einschreiten nicht selten physische Gewalt zur Folge hat. Dazu ist die rechtliche Lage noch so undurchsichtig und unberechenbar, dass man selbst schnell zum Täter werden kann, der für sein „couragiertes“ Einschreiten bestraft wird. Auch wenn dies weder politisch korrekt ist noch gerne gehört wird, so bleibt bei der momentanen Rechtsprechung die Nothilfe ein unabwägbares Risiko für den Helfer.
Fazit: Von einem direkten Eingreifen kann daher aus einer rein rationalen Überlegung heraus nur abgeraten werden.
Dies bedeutet allerdings nicht, dass man überhaupt nichts tun kann oder soll; im Gegenteil. Im Zeitalter des Handys stellt es kein Problem dar, einen Notruf abzusetzen, die Täter zu fotografieren oder sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen, um der Polizei und der Staatsanwaltschaft die spätere Arbeit zu erleichtern.
Sollte man wegen moralischer Überzeugungen meinen, dass ein simpler Notruf nicht reicht, so kann man auch die umstehenden Zuschauer ansprechen und um Hilfe bitten.
Dies ist übrigens auch das Verhalten, das vom Gesetzgeber toleriert und gefordert wird. Solltet Ihr selbst dieses Mindestmaß an Hilfeleistung verweigern, so macht Ihr euch strafbar.